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20 Kilometer, 2 Trams, 1 Stadt – Mein Fotowalk durch München

  • Writer: Walter Rekirsch
    Walter Rekirsch
  • 2 days ago
  • 14 min read


Marienplatz – Herzschlag einer Stadt

Der Marienplatz, seit dem 12. Jahrhundert das Zentrum Münchens, ist mehr als nur ein Platz. Er ist Bühne, Knotenpunkt und Spiegelbild städtischer Geschichte. Wer hier steht, spürt die Schichten der Zeit: vom mittelalterlichen Marktplatz über barocke Prägung bis zur touristischen Ikone der Gegenwart.


Am 12. Mai 2025 erreiche ich ihn um exakt 10:32 Uhr. Die Lichtverhältnisse sind perfekt – nicht zu hart, nicht zu flach. Die Sonne hat den Zenit noch nicht erreicht und legt einen weichen, goldenen Schleier über die hellen Fassaden. Ich wähle bewusst einen weiten Blickwinkel, um das Spannungsfeld zwischen Architektur, Bewegung und Moment einzufangen.


Links vom Bild erhebt sich das Neue Rathaus, 1874–1908 errichtet im neugotischen Stil. Es ist nicht nur Verwaltungssitz, sondern Symbol bürgerlicher Selbstbestimmung. Die filigranen Türmchen, die Wasserspeier, das berühmte Glockenspiel: eine Inszenierung von Stadtstolz.

Rechts, etwas zurückgesetzt: das Alte Rathaus, mit Wurzeln im 15. Jahrhundert, mehrfach zerstört und wieder aufgebaut. Heute beherbergt es ein Spielzeugmuseum – und wirkt dennoch wie ein ruhender Pol zwischen dem Trubel.


Doch was den Platz wirklich prägt, ist sein Puls: Ein Strom aus Touristen, Schulklassen, Geschäftsleuten, Straßenmusikern, Aktivisten, Fahrradkurieren. Jede Minute bringt neue Figuren ins Bild. Ich setze bewusst auf eine kurze Belichtungszeit, um flüchtige Gesten einzufrieren – ein Lachen, ein Handzeichen, ein aufsteigender Luftballon.


Der moderne Zugang zur S- und U-Bahn am Platzrand markiert den Kontrast: Vergangenheit und Mobilität, Historie und Bewegung. Ich komponiere ein Bild, in dem das Glasdach der U-Bahn den gotischen Rathausturm spiegelt – als wäre die Stadt selbst sich ihrer Ebenen bewusst.


Fotografisch ist der Marienplatz eine Herausforderung. Es braucht Geduld, um Ordnung im Chaos zu finden. Aber gerade diese Herausforderung macht den Reiz aus. Ich suche Linien, Lichtachsen, Momente – und finde sie immer wieder neu.

Am Ende dieses Abschnitts meines Streifzugs ist klar: Der Marienplatz ist kein statisches Monument. Er lebt. Und er lässt sich nicht besitzen, nur bezeugen.



Nah und wild – die Gans an der Isar

Die Isar – Lebensader, Rückzugsraum, Bühne für das Alltägliche. In München ist sie kein reißender Gebirgsfluss mehr, sondern ein fein gezähmtes Band aus Wasser, das sich mit seiner natürlichen Energie durch die Stadt schlängelt. Doch trotz Regulierung hat sich entlang ihrer Ufer eine faszinierende Zwischenwelt etabliert: naturbelassen, wild, poetisch.


Ich biege vom Maximilianeum ab, vorbei an Radfahrern, Hundebesitzern und barfuß laufenden Kindern. In der Ferne erhebt sich ein neoromanisches Bauwerk aus Ziegelstein: die St.-Lukas-Kirche, erbaut zwischen 1893 und 1896. Sie ist die größte evangelische Kirche Münchens – und die einzige, die direkt an der Isar steht. Ihre kupfergedeckte Kuppel wirkt aus der Distanz wie ein architektonischer Wächter über dem Strom.


Dann geschieht es: Ein unscheinbarer Moment wird zum Bild des Tages. Eine einzelne Gans schreitet gemächlich über eine Kiesbank, das Gefieder leicht vom Wind gestreichelt, das Sonnenlicht reflektiert in metallischen Nuancen. Sie hebt den Kopf, beobachtet, taxiert.

Ich gehe in die Hocke. Die Kamera ist fast auf Bodenhöhe. Ich wähle Blende 4,5 für ein sanftes Bokeh im Hintergrund, ISO 100, um die Klarheit der Details zu bewahren. Der Fokus liegt auf der Gans – aber im Sucher ist mehr: die Kirche im Hintergrund, das glitzernde Wasser, das zarte Spiel aus Natur und Baukunst.


Fotografisch ist es ein Geschenk. Kompositorisch ergibt sich eine Dreiteilung: Im Vordergrund das Tier, Symbol für Wildheit und Leben; in der Mitte die Isar, fließend, verbindend; im Hintergrund das Gotteshaus, gebaut aus Stein und Geschichte. Ich löse aus – und weiß sofort: Dieses Bild erzählt alles, was ich an diesem Tag suche.


Doch die Szene hat mehr als nur ästhetische Qualität. Sie steht für das, was München im Innersten zusammenhält: das Gleichgewicht zwischen Urbanität und Rückzug, zwischen kulturellem Erbe und lebendiger Gegenwart. Die Gans lebt nicht im Zoo. Sie gehört hierher – genauso wie die Kirche, die Spaziergänger, der Fluss.


Ich bleibe noch eine Weile sitzen. Der Lärm der Stadt scheint fern. Nur das Plätschern der Isar, das leise Rufen eines Kindes, das Wispern der Blätter im Wind – und der langsame, würdige Gang eines Vogels auf dem Weg durch eine Stadt, die beides kennt: Tempo und Stille.




Magie im Schatten – Leuchtgraffiti unter dem Friedensengel

Wer den Friedensengel kennt, denkt zuerst an die goldene Göttin hoch oben auf der Säule, an glitzernde Wasserspiele, an Postkartenansichten. Doch unterhalb dieses Wahrzeichens öffnet sich eine andere Welt. Eine Welt aus Schatten, aus Farbe, aus Widerspruch. Eine Welt, die man nicht fotografiert – sondern betritt.


Es ist ein Tunnel. Ein nüchterner Durchlass unter der Prinzregentenstraße, architektonisch unauffällig, vielleicht sogar abweisend. Doch schon beim Eintreten verändert sich alles. Die Temperatur sinkt, das Tageslicht bleibt zurück. Stattdessen empfängt mich eine neue Realität – illuminiert durch phosphoreszierendes Graffiti, das auf den ersten Blick wie Licht selbst erscheint.


An den Wänden leuchten Pilze, Geister, Gesichter. Große, runde Augen blicken mich an, Tiere scheinen aus Fels zu wachsen, Farbverläufe schimmern wie in digitalen Traumsequenzen. Es ist keine bloße Straßenkunst – es ist eine psychogeografische Installation. Urbaner Raum wird hier neu verhandelt.


Ich greife zur Kamera, aber langsam. Dieser Ort verlangt Respekt. Ich wähle ISO 800 – das Licht ist schwach, aber ausreichend. Die Belichtungszeit ist lang, also nehme ich das Stativ. Ich fotografiere mit Blende 2,8 – maximale Tiefe, maximale Atmosphäre. Der Autofokus versagt – ich fokussiere manuell, auf das Auge eines gemalten Tiers. Das Bild ist da. Und es lebt.


Was mich fasziniert: die völlige Abwesenheit von Lärm – obwohl die Straße direkt über mir liegt. Es ist, als hätte sich dieser Ort abgekoppelt von der Stadt, als sei er durch eine Membran getrennt von der Oberwelt. Hier unten herrscht eine andere Logik: Ausdruck ohne Regeln, Schönheit ohne Rahmen, Freiheit ohne Zustimmung.


Ich treffe auf zwei Jugendliche mit Skizzenblock. Sie schauen mich an, nicken. Keine Worte nötig. Auch sie wissen, was dieser Ort ist: ein Safe Space. Für Gedanken, für Kunst, für Identität, die keinen Platz findet in der Ordnung da oben.


Fotografisch ist es ein Fest: Lichtreflexe auf rauem Beton, gesprayte Umrisse, die im Neonlicht flirren, Farbschlieren wie impressionistische Malerei. Und dann das Bild, das mich nicht mehr loslässt: Ein riesiger, fluoreszierender Pilz, dessen Wurzel aus der Mauer wächst – als wolle die Natur selbst sich durch Kunst zurückmelden.


Ich bleibe lange. Zu lange für einen Spaziergang. Aber genau richtig für eine Geschichte.

Als ich den Tunnel verlasse, trifft mich das Tageslicht wie eine Welle. Ich blinzele. Und weiß: Der Friedensengel hat zwei Seiten. Oben die Ordnung, der Triumph. Unten der Traum, die Tiefe, das Ungezähmte. Beides gehört zu dieser Stadt. Beides gehört ins Bild.




Ein Denkmal aus Stein und Gold – Der Friedensengel

Er steht auf einer der schönsten Sichtachsen Münchens, erhoben über der Prinzregentenstraße: der Friedensengel, ein Monument von leuchtender Symbolkraft und imposanter Wirkung. Doch seine Geschichte ist tief verwurzelt in politischen Umbrüchen, künstlerischen Visionen und dem Wunsch nach nationaler Selbstvergewisserung.


Der Weg zu ihm führt mich über breite Granitstufen, flankiert von historischen Gaslaternen und Kastanien. Schon von unten sieht man sie: die goldene Siegesgöttin Nike, erhoben auf einer 23 Meter hohen korinthischen Säule. Sie hält Kranz und Palmzweig in die Luft – nicht als Zeichen des Sieges, sondern des Friedens.


Errichtet wurde das Denkmal 1896, als Mahnmal für 25 Jahre Frieden nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Der Krieg hatte Europa verändert, das Deutsche Kaiserreich gestärkt – doch der Bau des Friedensengels war mehr als patriotisches Pathos. Er sollte die neue Rolle Deutschlands in Europa spiegeln: als Ordnungsmacht, als Kulturträger, als Garant für Stabilität. Ein monumentales Symbol in einer Stadt, die zu dieser Zeit aufblühte.


Als ich oben ankomme, ist es früher Nachmittag. Die Sonne hat sich zwischen die Baumkronen geschoben und lässt die Göttin in flüssigem Gold leuchten. Unter ihr: ein Ensemble aus neobarocken Wasserspielen, gesäumt von Skulpturen aus der griechischen Mythologie – Tritonen, Najaden, Meeresungeheuer. Das Wasser plätschert leise, reflektiert das Licht in tanzenden Mustern auf dem Marmor.


Ich setze die Kamera an. Blende 8, um die Details der Architektur in ganzer Tiefe zu fassen. Ich gehe auf Distanz, um die gesamte Komposition zu würdigen: die Symmetrie der Freitreppe, die Linienführung der Balustraden, die perfekte Achse auf die Innenstadt.

Doch dann gehe ich näher. Ich betrachte das Gesicht der Nike, wie es über die Stadt blickt – nicht drohend, sondern wachend. Ich fotografiere einzelne Figuren: ein Delphin, auf dessen Rücken sich eine Wasserfrau schmiegt. Ein bronzener Löwe mit gebleckten Zähnen. Ich suche das Verborgene im Monumentalen.


Und ich beobachte: Touristen, die eilig ein Selfie machen. Ein älterer Herr, der auf einer Stufe sitzt, den Hut auf dem Schoß. Eine junge Mutter, die ihrem Kind erklärt, wer „die goldene Frau“ ist. Der Ort lebt, weil er angenommen wird. Er ist nicht nur Denkmal – er ist Treffpunkt, Kulisse, Zwischenraum.


Für mich ist der Friedensengel an diesem Tag ein Ort der Reflexion. Er steht für den Wunsch, Gegensätze zu überwinden: Krieg und Frieden, Macht und Schönheit, Geschichte und Gegenwart. Ich fotografiere ihn nicht nur – ich verneige mich innerlich.


Und als ich mich umdrehe und den Blick schweifen lasse – über die Isar, hin zum Maximilianeum, über die Dächer der Stadt –, weiß ich: München offenbart seine wahre Tiefe oft dort, wo Gold auf Granit trifft. Wo Schönheit nicht nur Fassade ist, sondern Erinnerung.



Lost Place Olympiabahnhof – Graffiti, Gleise und Gesellschaft

Versteckt hinter Büschen, verfallenem Beton und langsam zurückeroberter Natur liegt ein Ort, den viele Münchner kaum noch wahrnehmen – und der dennoch ein bedeutendes Kapitel Stadtgeschichte erzählt: der ehemalige Bahnhof Olympiastadion, heute ein sogenannter „Lost Place“.


Ein Bahnhof für die Spiele

Eröffnet wurde der Bahnhof 1972 im Rahmen der Olympischen Sommerspiele in München. Geplant als temporäre Lösung, sollte er die riesigen Menschenmassen effizient zum Olympiapark bringen. Auf vier Bahnsteigen fuhren damals Züge im Takt, Tausende Sportbegeisterte wurden hier direkt zum Stadion geleitet. Der Bahnhof war Teil eines ambitionierten Infrastrukturprogramms, das München in das moderne Zeitalter katapultieren sollte – mobil, leistungsfähig, zukunftsgerichtet.

Doch der Glanz der olympischen Tage verblasste schnell. Nach den Spielen wurde der Bahnhof nur noch sporadisch genutzt – etwa bei Fußballspielen oder Großveranstaltungen im Olympiastadion. In den 1980er- und 1990er-Jahren verlor er immer mehr an Bedeutung, bis er schließlich 1988 dauerhaft stillgelegt wurde. Seitdem verfiel er langsam – vergessen von der Bahn, gemieden von der Öffentlichkeit, aber entdeckt von anderen.


Urbane Bühne und gesellschaftlicher Spiegel

Heute ist der Olympiabahnhof ein stiller, verwunschener Ort. Die Gleise sind überwuchert, die Bahnsteige von der Natur zurückerobert. Doch zwischen dem Grün und den Betonplatten pulsiert eine andere Energie – die Energie der Straße.


Graffiti, teils kunstvoll, teils roh, bedeckt fast jede Fläche. Namen, Symbole, politische Botschaften und Absurditäten wechseln sich ab. Worte wie „Elend“, „MONEY“, „FREEDOM“ oder „MAKE LOVE“ schreien einem aus dem Farbdschungel entgegen. Dieser Ort ist zur Bühne für Ausdruck geworden – ein Raum, der keine Zensur kennt, keine Eintrittskarte verlangt, keine Konventionen braucht.


Es ist ein Ort der urbanen Subkultur, aber auch ein Ort der Realität: Unter einer der Rampen steht ein Zelt – ein Hinweis darauf, dass dieser Ort nicht nur als Leinwand dient, sondern auch als letzte Zuflucht. Das ehemals funktionale Bahnhofsareal ist heute ein Mahnmal für gesellschaftliche Entwicklungen: die zunehmende Verdrängung, die Lücken im sozialen Netz, die Stimmen, die sich auf Wände schreiben müssen, um gehört zu werden.


Fotografischer Blick auf den Verfall

Für den Fotografen ist dieser Ort eine Schatzkammer: Linien, Perspektiven, Kontraste – hier ist jedes Bild eine Geschichte. Der Blick entlang der alten Schienen lässt die Zeit sichtbar werden. Der Fokus auf eine einzelne Farbschicht Graffiti erzählt von einem Akt der Rebellion oder Sehnsucht. Und der Kontrast zwischen wildem Grün und kaltem Stahl erzeugt eine Tiefe, die weit über das Visuelle hinausgeht.


Zwischen Bahndämmen, Brückenpfeilern und verwachsenen Wegen finde ich einen weiteren Ort der Gegensätze – roh, farbenfroh, kompromisslos. Hier, unter einer massiven Brückenkonstruktion aus Beton und Stahl, explodieren Farben auf jedem Quadratzentimeter. Es ist ein Ort der Übergänge – zwischen Infrastruktur und Zwischenwelt, zwischen Zivilisation und Rückzug.


Auf den Rampen, den Wänden, selbst auf den Treppenstufen haben sich unzählige Sprayer verewigt. Die Tags und Murals sind nicht bloß dekorative Elemente – sie sind Statements. Namen, Wut, Ironie, Hoffnung – all das prangt in Neonfarben auf grauem Untergrund. Einige Werke wirken wie liebevoll gemalte Comics, andere wie wütende Botschaften in Großbuchstaben. Dazwischen: Schablonenporträts, Tiere, Masken, Sprüche. Ich bewege mich wie durch ein offenes Archiv urbaner Gedanken.


Doch unter dem visuell kraftvollen Teppich liegt eine tiefere Ebene. Zwischen den Pfeilern entdecke ich ein Zelt, daneben ein Einkaufswagen mit Habseligkeiten, ein tragbarer Gaskocher. Es sind Hinweise auf Leben am Rand – Menschen, die in der Großstadt durch das Raster gefallen sind. Der Ort ist nicht nur bunt, sondern auch verletzlich.


Ich fotografiere mit Zurückhaltung. Aus Respekt. Und weil ich spüre: Dieser Ort braucht keine Inszenierung. Er ist bereits Bühne – für Widersprüche, für Stimmen ohne Mikrofon, für Realität ohne Filter. Mein Bild wird zu einem stillen Zeugnis – über das Sichtbare hinaus.


Was bleibt

Der Olympiabahnhof München ist mehr als ein verlassener Ort. Er ist Denkmal, Galerie, Zufluchtsort und soziale Bühne zugleich. Er erinnert uns daran, dass Orte, die ihre Funktion verloren haben, nicht wertlos werden – sondern beginnen, andere Geschichten zu erzählen. Geschichten von Menschen, von Wandel, von Leben am Rand – und von der Kraft der Kreativität, wo der Alltag längst verschwunden ist.




Der Olympiapark – Spiegelbild der Moderne

Am Ende meines Streifzugs, nach Stunden voller Kontraste, Geschichten und Begegnungen, erreiche ich einen Ort, der wie kaum ein anderer für das Selbstverständnis Münchens in der Moderne steht: den Olympiapark.


Ein Gelände von ikonischer Kraft, errichtet für die Olympischen Sommerspiele 1972 – jene Spiele, die nicht nur sportlich, sondern auch architektonisch ein Zeichen setzen sollten: transparent, leicht, offen, im radikalen Gegensatz zu den martialischen Spielen von 1936 in Berlin. München wollte anders sein. Freundlicher. Demokratischer. Zukunftsgewandt. Und das sieht man bis heute.


Ich betrete den Park vom Norden her. Vor mir liegt der Olympiasee, ruhig, spiegelklar, fast surreal. Der Olympiaturm – 291 Meter hoch – erhebt sich wie eine Nadel in den blauen Himmel. Und was sich in seinem Spiegel im Wasser zeigt, ist nicht nur Ästhetik. Es ist ein Dialog: zwischen Technik und Natur, zwischen Mensch und Raum.


Ich setze mich ans Ufer, richte die Kamera horizontal aus. Blende 11, um Schärfe von Vorder- bis Hintergrund zu erhalten. Die Reflexion ist nahezu perfekt – das Bauwerk und sein Doppelgänger im Wasser scheinen miteinander zu kommunizieren. Ich warte auf das kleine Kräuseln, das Bild und Spiegel kurz trennt. Dann löse ich aus.


Ich gehe weiter, umrunde das Wasser. Der Weg führt mich vorbei an Joggern, Schulklassen, Musikern mit offenen Gitarrenkoffern. Und dann liegt es vor mir – das architektonische Herz des Parks: das Zeltdach. Ein Werk der Leichtigkeit, eine Struktur aus Stahlseilen, Plexiglas und visionärem Denken. Entworfen von Frei Otto und Günter Behnisch, wirkt es wie ein transparentes Segel über den Sportstätten – als würde es schweben.


Ich positioniere mich auf einer Anhöhe, um das Dach in Beziehung zum Stadtraum zu setzen. Das Licht zeichnet feine Schatten auf die Struktur. Ich nutze ein Teleobjektiv, um Details zu isolieren: die Seilknoten, die Träger, die Übergänge zwischen Architektur und Himmel. Jedes Detail wirkt durchdacht, organisch, menschlich.


Aber der Olympiapark ist nicht nur Schönheit. Er trägt auch Erinnerung. Die Gedenkstätte für die Opfer des Olympia-Attentats von 1972 steht am Rand des Parks, schlicht, würdig, eindringlich. Ich verweile dort. Kein Foto. Nur Stille.


Dann gehe ich weiter, vorbei an der Olympiahalle, dem ehemaligen Schwimmstadion, und schließlich hinauf auf den Olympiaberg. Der Wind ist stärker hier oben, die Sicht weit. Ich sehe die Stadt, die Alpen am Horizont, das Zeltdach unter mir. Die Linien fließen, die Geschichte auch.


Was bleibt, ist ein Gefühl: Der Olympiapark ist mehr als ein Veranstaltungsort. Er ist ein Manifest. Für das, was Architektur sein kann: nicht Macht, sondern Einladung. Nicht Grenze, sondern Raum für Begegnung. Für Sport, Kunst, Alltag – und für Fotografie.


Ich schließe diesen fotografischen Abschnitt mit einer ruhigen Szene: Der Olympiaturm, hoch über dem Park, wirkt in der Nachmittagssonne fast entrückt. Unter ihm spiegeln sich die Formen des Zeltdachs im Wasser, während eine Entenfamilie gemächlich durchs Bild zieht. Kein dramatisches Licht, kein goldener Schein – sondern eine ehrliche, klare Atmosphäre. Ich entscheide mich für eine Komposition mit viel Raum: Himmel, Architektur, Spiegelung, Natur. Ein stilles, ausgewogenes Bild – passend für den Ort und den Moment.

Ein würdiger Schlussakkord.




Zwischen Traum und Transit – Streetart am Weg zum Leonrodplatz

Der Tag hat sich gesenkt. Ich verlasse den Olympiapark mit müden Beinen, aber wachem Geist. Mein Weg führt mich zurück in die Innenstadt. Die Straßenlaternen werfen lange Schatten, der Himmel ist nun ein samtiger Vorhang, durchzogen von den ersten Sternen. Doch München schläft nicht – es verwandelt sich.


Ich trete durch eine Seitenstraße in der Maxvorstadt, vorbei an Cafés, deren Gäste sich unter Heizstrahlern in Decken wickeln. Es ist das Ende meines Streifzugs – und gleichzeitig der Anfang der Reflexion. Ich denke zurück: an die Farben im Tunnel unter dem Friedensengel, an das Rascheln der Blätter im Olympiapark, an das stille Zelt zwischen den Brückenpfeilern des Bahnhofs.


Ich mache noch ein letztes Bild – kein Motiv von Bedeutung, kein historischer Ort. Einfach nur eine Straßenlaterne, die durch ein Baumdach bricht. Die Blätter golden, die Luft still. Dieses Bild ist nicht spektakulär. Aber es ist wahr. Es steht für das, was bleibt, wenn alles Fotografierte zur Erinnerung wird.


Die Stadt hat mir ihre Schichten gezeigt. Nicht nur Fassaden und Formen, sondern Haltung, Widerspruch, Sehnsucht. Ich gehe zurück zur Strassenbahn – dieselbe, die ich am Morgen betreten habe. Der Kreis schließt sich.


Am Bahnsteig drücke ich die Kamera noch einmal an mich. Und weiß: Dieser Tag war mehr als ein Streifzug. Es war eine Begegnung mit München – unter der Oberfläche, im Licht und im Schatten.


Auf dem Weg vom Olympiapark in Richtung Leonrodplatz öffnet sich mir eine letzte überraschende Bilderwelt – ganz ohne Ankündigung, versteckt zwischen Unterführungen, Nebengebäuden und unscheinbaren Wänden. Ich befinde mich in einer urbanen Zwischenzone, einem Raum zwischen Ziel und Transit, und finde hier ein wahres Kaleidoskop großflächiger Wandkunst.


Zuerst fällt mir eine monumentale Blume ins Auge. In einer Unterführung leuchtet eine pinke Lotusblüte über einer grasgrünen Wiese – daneben eine Landschaft mit Bergen, Wolken und einem sich windenden, blauen Band. Alles wirkt freundlich, fast märchenhaft. Die Fliesenwand verwandelt sich hier in ein Panorama voller Leben. Und obwohl der Ort selbst funktional, fast kühl ist, schafft diese Malerei etwas Warmes: einen Moment der Verzauberung zwischen Beton und Fahrplänen.


Wenig später, an einer Mauer bei einer Montessori-Schule, die ebenfalls am Weg liegt, gerate ich in eine andere visuelle Sphäre. Dort prangt ein riesiges Porträt, wahrscheinlich ein Lehrer oder eine Persönlichkeit – daneben das leuchtende Chaos aus Tags, Bombings, schablonierten Aliens und leuchtenden Comicfiguren. Auch hier wird klar: Der Weg zum Ziel ist nicht leer, sondern ein offenes Buch urbaner Kommunikation. Ich nehme Details ins Visier: Farbschichten auf abblätterndem Putz, ein Spruch, halb verdeckt von neuem Lack. Die Wand lebt.


Kurz bevor ich den Platz erreiche, bringt mich ein letztes Bild zum Innehalten: eine Fliesenwand mit floralen Motiven – Rosen, Blätter, eine Frau mit blauen Haaren und Blumen als Augen. Alles in weichen Farben, plastisch modelliert, fast ätherisch. Die Wand scheint zu atmen. Es ist, als hätte jemand die Tristesse des Tunnels mit der Farbpalette eines Traumes bekämpfen wollen – und gewonnen.


Ich dokumentiere diese Werke nicht nur als Fotograf, sondern als Erzähler. Denn sie zeigen, wie Kunst den Alltag infiltrieren kann – nicht in Museen, sondern auf Wegen, an denen man sonst nur achtlos vorbeigeht. Diese letzten Bilder des Tages sind keine klassischen Sehenswürdigkeiten. Aber sie sind sichtbare Zeichen dessen, was eine Stadt im Innersten ausmacht: den Mut, Tristesse mit Farbe zu beantworten.




Kunst, Kontraste, Kreativquartier: Am Leonrodplatz

Mein Weg endet an einem Ort, der mehr ist als nur ein Platz – er ist Bühne, Atelier und gesellschaftlicher Spiegel zugleich: das Kreativquartier rund um den Leonrodplatz.

Schon von Weitem zieht mich ein Gebäude in seinen Bann – die Fassade komplett bedeckt mit Graffiti, Tags, Symbolen, Botschaften. Keine leere Fläche, kein ruhiger Pinselstrich – alles pulsiert, schreit, lebt. Hier wurde nicht dekoriert, sondern ausgedrückt. Wild, chaotisch, farbenfroh. Es ist ein Manifest urbaner Freiheit. Jedes Fenster ein Widerspruch, jeder Schriftzug ein Statement. Ich nehme mir Zeit. Jedes Detail verdient Beachtung.

Wenige Schritte weiter steht ein alter blauer Transporter. Daneben prangt ein riesiges Wandbild: „Raum für zeitgenössische Kunst aller Sparten“. Hier beginnt das Gelände des Kreativlabors, ein Ort der offenen Ateliers, Werkstätten und Experimente. Davor: ein Autowrack, rostig und scharf gezeichnet im Sonnenlicht. Verfall trifft Vision.

Und dann – das wohl surrealste Motiv des Tages: Ein Lieferwagen, senkrecht in einer geschwungenen Marmorskulptur versunken, als würde ein Wal das Fahrzeug verschlucken. Es ist Kunst, es ist Skulptur, es ist urbane Provokation. Daneben quietschbunte Containerbauten, die das kreative Leben beherbergen. Ateliers, Projektbüros, vielleicht auch Träume.

Der Leonrodplatz ist hier nur noch geografischer Ausgangspunkt. Was sich um ihn herum entfaltet, ist ein Biotop künstlerischer Freiheit, das in München einzigartig ist. Hier endet mein Streifzug nicht in Stille – sondern im Echo von Ideen.




20 Kilometer Stadtgeschichte – mein Fotowalk durch München

Mein Fotowalk begann früh morgens in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs – und führte mich auf eine rund 20 Kilometer lange Entdeckungsreise quer durch die Stadt. Zu Fuß, mit wachem Blick und der Kamera im Anschlag, durchstreifte ich bekannte Orte und verborgene Ecken. Zwei kurze Fahrten mit der Tram 21 halfen, größere Distanzen zu überbrücken – doch das Herzstück blieb der Weg selbst.


Ich erlebte München in vielen Facetten: Von der klassischen Eleganz am Stachus und Königsplatz über das lebendige Bahnhofsviertel, den weiten Olympiapark bis hin zum experimentellen Kreativquartier rund um den Leonrodplatz. Doch besonders eindrücklich blieb mir ein Ort, der im Schatten liegt – wortwörtlich und im Bewusstsein der Stadt: der verlassene Olympiabahnhof.


Versteckt hinter Büschen, umgeben von rostigen Gleisen, verfallenen Mauern und wild wuchernder Natur, offenbarte sich hier eine andere Seite Münchens. Ein Lost Place voller Geschichte, Graffiti und Geschichten, die man nicht auf den ersten Blick erkennt. Es war ein Ort der Stille und des Umbruchs – und vielleicht gerade deshalb das fotografische und emotionale Zentrum meiner Tour.


Am Ende kehrte ich zurück zum Ausgangspunkt – meinem Hotel nahe dem Hauptbahnhof. Doch was blieb, war mehr als eine Strecke auf der Karte: Es war ein Tag voller Kontraste, voller Eindrücke – und voller Bilder, die weit über das Sichtbare hinausgehen.


 
 
 

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